Oksana Miroshnichenko-Braun
Lizensierte Gästeführerin in Heidelberg, Mannheim, Schwetzingen, Speyer, Weinheim und Region
Mitglied im Bundesverband der Gästeführer in Deutschland e.V.
Mitglied des Heidelberger Gästeführer e.V.
Lizensierte Übersetzerin und Dolmetscherin: Deutsche, Russische, Ukrainische Sprachen
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Russen in Heidelberg
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22.05.08.09:27
Russische Wissenschaftler in Heidelberg
Im 19. Jahrhundert nannte der berühmte Botaniker und Pflanzenphysiologe Kliment Timirjazev Heidelberg „das Mekka der Russischen Naturwissenschaft“. Nach 1840 – so schrieb er – gab es in Osteuropa zwei wichtige Magnete für alle Russen: London als Zentrum der Revolutionspropaganda oder „Die Wohnung für Herzen in politischer Sicht“ und Heidelberg „als Stadt der Wissenschaft“.

So kann man gut verstehen, dass das junge Mädchen Sofia Korwin-Kurkovskaja, das in tiefster russischer Provinz nahe Witebsk lebte, davon träumte, an der Universität von Heidelberg studieren zu können. Sie musste sehr viel erleben, sehr viele Grenzen überschreiten, bevor sie nach Heidelberg kommen konnte, um sich bei der mathematischen Fakultät anmelden zu können. Doch sie wurde abgelehnt, weil damals keine Frauen zum Studium zugelassen wurden. Der russische Heidelberger Vladimir Kowalevskij, Professor der Zoologie und Paläontologie bei der hiesigen Universität, war begeistert von ihrem unbeugsamen Willen und bot ihr seine Hilfe an. Er schloss mit ihr eine pro forma Ehe, weil unverheiratete Mädchen nicht an einem Studium teilnehmen durften. Mit Einwilligung ihres Ehemannes und Dank dessen guten Beziehungen zum Rektorat der Universität, bekam Sofia Kovalevskaja als erste Frau der Welt die Erlaubnis an der Heidelberger Universität Mathematik zu studieren. Sie beendete ihr turbulentes aber erfolgreiches Leben als Mathematik Professorin an der Universität Stockholm.

Aber hier in Heidelberg erlebte sie die besten Jahre ihres Lebens. „Wenn ich an Askese denke, dann kommen mir immer die Erinnerungen an Heidelberg, an mein kleines sehr einfaches Zimmer. Ich sitze dort und denke an sehr komplizierte und sehr seriöse Arbeit. Ich bereite mich zum Examen vor, ich schreibe eine Dissertation“. So beschrieb diese wundervolle Frau mit eisernem Willen später ihr Leben in Heidelberg. „Wenn ich ja unser Leben in Berlin mit dem in Heidelberg vergleiche, dort die schlechte Wohnung, das miserable Essen, die schlechte Luft und die Arbeit bis zum Umfallen, ohne jegliche Abwechslung, ohne irgendwelche Freude, dann kommt mir unser Leben in Heidelberg wie das verlorene Paradies vor.“

Aber die Geschichte der russischen Wissenschaft in Heidelberg fing längst vor der Zeit Timirjazevs und Kovalevskaja an. Bereits im Jahre 1833 wird von Nikolaj Pirogov berichtet, Chirurgie- und Medizin-Professor, der später im Krimkrieg gegen die Türken als Feldchirurg berühmt wurde. Er war vom russischen Zar als offizieller Betreuer der russischen Studenten in Heidelberg eingesetzt worden.

Pirogov richtete im Dachgeschoss seines Hauses in der Märzgasse eine russische Lesehalle ein, die sehr schnell zum Zentrum des russischen Gesellschaftslebens in Heidelberg wurde. Einer der prominenten Gäste dieser Lesehalle war der Schriftsteller Ivan Turgenev.

Die Blüte der russischen Wissenschaft in Heidelberg ist fest mit dem Namen von Chemiker Dmitri Mendeleev verbunden, der das Periodensystem der chemischen Elemente zusammenstellte. Sein Kollege Physiologe Ivan Sechenov war ebenfalls an diesen Heidelberger Experimenten beteiligt. Später arbeitete Sechenov an den Untersuchungen, die zeigten, wie wichtig Vitamine und Spurenelemente für den menschlichen Körper sind. Er gilt als Gründer der Psychologie in Russland. Ein weiterer besonderer Verdienst Sechenovs war die Unterstützung der Frauenbildung.

Noch eine weitere bekannte russische Persönlichkeit war an den Versuchen im Mendeleevs Labor beteiligt: Alexander Borodin, ein begabter Chemiker, der allerdings heute viel mehr als Opernkomponist bekannt ist.

In der Reihe der berühmten Russen, die in Heidelberg studierten und arbeiteten, sollte auch Jevgeny Botkin nicht fehlen. Später wurde er Leibarzt des letzten russischen Zars Nikolai II. und dessen Familie.

Botkin blieb seinem Herrn und Herrscher sein Leben lang treu: Er wurde zusammen mit der ganzen Zarenfamilie in Tobolsk erschossen und seine Leiche zusammen mit den Leichen der Zarenfamilie von den Bolschewiken in einem Massengrab in einer Mine verscharrt.

„Heidelberg hat einen hohen Freizeitwert – das bedeutet, dass man leicht Reisen nach Frankreich, Italien und in die Schweiz machen kann“, – so schrieb Ivan Sechenov. Für viele Russen war die Stadt mit ihrem milden Klima eine Art Kurort mit sehr reichem Rahmenprogramm von Wissenschaft und Kunst.

Peter Sliferovich, der in Heidelberg Medizin studierte und später in Mannheim eine eigene Arztpraxis führte, beschrieb die Ankunft des russischen Zars Alexander I. und die damit verbundenen Feierlichkeiten mit Feuerwerk. „Wer auch nur einmal vom Fuß des Berges aus die Schlossbeleuchtung gesehen, wer den Wohlklang der Welle, des Flusses und der darauf fahrenden Boote wahrgenommen hat, und dazu die bunten Lampions, die Musik und die Studentenlieder, der hat den Eindruck, dass die Wogen voller Freude über dieses Fest der Klänge und aus Überschwang zu murmeln und zu summen beginnen, und wenn dann plötzlich gewaltige feuerrote Garben mit ihrem wundersamen Licht das Schloss mit Fluss und Brücke in ein geheimnisvolles lockendes Licht tauchen, dann gräbt sich dieses Erlebnis so tief in die Seele ein, dass man es so wenig wie den Glanz des Frühlings und die Pracht unserer Jugend vergessen kann.“

Die Liste aller Russen, deren Leben mit Heidelberg verbunden ist, ist sehr lang. Einen Auszug daraus finden sie hier. Falls Sie einen Namen finden, der für Sie besonders interessant ist, können Sie sich an mich wenden. Sie erhalten dann gerne weitere detaillierte Informationen.

Alexander Semenovich Alexeev, Jurist und später Professor für Staatsrecht an der Universität Moskau;
Dmitri Nikolaevich Anychin, Naturwissenschaftler und Publizist;
Michail Petrovich Avenarius, Physiker
Friedrich Beilstein, Chemiker
Sergey Natanovich Bernstein, Mathematiker
Nikolai Michailovich Blagoweschenskij, Professor der klassischen Philologie
Nikolay Pavlovich Blagolepov, Jurist, von 1898 bis 1901 russischer Minister für Volksbildung
Ivan Ivanovich Borgmann, Physiker
Nikolai Nikolaevich Bubnov, Philosoph
Wladimir Eduardovich Den, Wirtschaftsgeograph und Statistiker
Alexei Pavlovich Fedtschenko, Geograph
Wladimir Ivanovich Ger’e, Historiker
Leonard Leopoldovich Girschmann, Ophthalmologe
Valentin Wladislavovich Gorinevskij, Hygieneforscher und Schulmediziner
Andrej Alexandrovich Grigor‘ev, Geograph
Pavel Pavlovich Gronskij, Jurist, Mitglied der Staatsduma (russisches Parlament)
Pavel Ivanovich Jakobi, Arzt und Psychiater
Eduard Andrejevich Junge, Ophthalmologe
Lev Aristidovich Kasso, von 1911 bis 1914 russischer Bildungsminister
Vladimir Onyfrievich Kovalevskij, Zoologe und Paläontologe
Michail Semenovich Kutorga, Historiker
Alexander Nikolaevich Lebedev, Biochemiker
Ivan Fedorovich Levakovskij, Geologe
Konon Ivanovich Lisenko, Chemiker
Nikolai Nikolajevich Ljubavin, Chemiker
Wladimir Fedorovich Luginin, Chemiker
Alexander Apollonovich Manujlov, Nationalökonom, Bildungsminister der Provisorischen Regierung von 1917
Sergej Sergejevich Medvedev, Physiker und Chemiker
Nikolaj Nikolajevich Miklycho-Maklai, Geograph und Ethnologe
Lev Nikolajevich Mosdalevskij, Paedagoge
Boris Emmanyilovich Nol’de, Diplomat und Staatsjurist, Vizeminister für Äußeres in der Provisorischen Regierung von 1917
Karl Romanovich von der Osten-Sacken, Diplomat und Völkerrechtler,
Vladimir Ivanovich Palladin, Botaniker und Biochemiker
Nikolaj Nikolajevich Pirogov, Physiker, Sohn von Nikolaj Ivanovich Pirogov
Ivan Ivanovich Puzanov, Zoologe und Biologe
Piotr Georgievich Redkin, Jurist
Dmitri Pavlovich Rjabuschkinskij, Naturwissenschaftler
Wladimir Pavlovich Rjabuschkinskij, Industrieller
Evgueni Valentinovich de Roberti, Soziologe und Philosoph
Sergej Matveevich Rozanov, Botaniker
Sergej Michaijlovich Solov‘ev, Historiker
Fedor Stepun, Philosoph und Soziologe
Alexander Grigor‘evich Stoletov, Physiker
Sergej Grigor‘evich Svjatikov, Jurist und Historiker
Nikolaj Stepanovich Taganzev, Kriminologe
Sergej Jakovlevich Tereschin, Physiker
Alexander Andrejevich Tichomirov, Zoologe
Trifon Georgievich Trapesnikov, Historiker, Anthropologe und Kunsthistoriker
Nikolaj Stepanovich Taganzev, Kriminologe
Vladimir Timofejevich Schewjakov, Zoologe
Nikolaj Alexandrovich Schilov, Physiker und Chemiker
Evgueni Ivanovich Spitalskij, Physiker und Chemiker
Piotr Nikolajevich Tschervinskij, Geologe
Ivan Vasilevich Wernardskij, Ökonomist
Michail Stepanovich Woronin, Botaniker
Alexander Ivanovich Woejkov, Klimatologe und Geograph
Alexei Alexeievich Zavarsin, Arzt für Histologie

Das einflussreiche Leben der russischen Diaspora in Heidelberg wurde abrupt beendet, als der erste Weltkrieg ausbrach und Russland und Deutschland auf verschiedenen Seiten der Barrikaden standen.

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Oksana Miroshnichenko-Braun